Dieser Artikel wurde publiziert in "OUTPUT FOCUS" Nr. 5/1997

Auf dem Weg ins nächste Jahrtausend

 Welche Strategien verfolgen die Schweizer Grossbanken im Bereich lnformationstechnologie? Wo investieren sie heute, um morgen konkurrenzfähig zu sein? Welche Markt- und Kundenbedürfnisse beeinflussen ihre lT-Entwicklungen? Eine aktuelle Marktstudie skizziert, was bei den drei Grossen angesagt ist.

Im April und Mai 1997 wurden für die Studie insgesamt vierzehn Kadermitglieder der CS-Gruppe, des Schweizerischen Bankvereins sowie der UBS interviewt. Gesprächspartner waren die obersten Chefs bzw. leitenden Mitarbeiter des lT-Bereichs (Chief Information oder Chief Technology Officers), ferner ausgewählte Linienchefs verschiedener Geschäftssparten. Auftraggeberin der Marktuntersuchung war die Schweizer Niederlassungvon Tandem Computer in Zusammenarbeit mit dem Zürcher Forschungs- und Beratungsunternehmen WI.SO Dr. Schoch & Partner.

Die ausführlichen persönlichen Gespräche mit den Experten dauerten jeweils rund eine Stunde. Erfreulicherweise waren die Auskunftsbereitschaft und Offenheit der Befragten in allen Fällen sehr gut. Fünf der Interviewpartner sind Generaldirektoren bzw. Mitglieder der jeweiligen Geschäftsleitung, die restlichen neun Mitglieder der Direktion. Von ihrer Funktion her gesehen sind fünf Informatikverantwortliche mit Spezialisten-Know-how, die übrigen Personen dagegen Informatikanwender aus verschiedenen Geschäftseinheiten u.a. der Sparten Retail, Direct Banking, Private Banking, Firmenkundengeschäft, Anlageberatung.

 

Lebenswichtige Informationstechnologie

SchachbrettDie Informatikchefs der Schweizer Grossbanken bezeichnen lT als eine strategische Ressource, die den Unternehmenserfolg entscheidend beeinflusst. Dementsprechend wird sie zentral bewirtschaftet und als Funktion hierarchisch weit oben in der Unternehmensorganisation eingestuft, direkt der Geschäftsleitung unterstellt.

Die heute bestehende lT-Infrastruktur genügt den Anforderungen nur noch teilweise oder gar nicht mehr. Für die Erweiterung und Modernisierung werden deshalb bis zum Jahr 2000 und darüber hinaus erhebliche Zeit- und Geldmittel eingesetzt werden. Bei einer der Grossbanken erklärte der Vorsitzende der Geschäftsleitung einen «major effort zur Modernisierung der lT» zu einem seiner Hauptziele.

Strategische Hauptaufgaben heute und in den kommenden drei bis fünf Jahren sind u.a. die Erneuerung der bestehenden lT-Infrastruktur und die Unterstützung neuer Vertriebskanäle. Fast zwingend erscheint daher die Tatsache, dass die lTBudgets in den letzten Jahren regelmässig gestiegen sind und heute einen erheblichen Anteil an den gesamten Sachaufwendungen der Bank ausmachen. Infolge des mit rund zwei Dritteln hohen Personalkostenanteils an den gesamten lT-Aufwendungen sind besonders solche Produkte interessant, die Einsparungen in diesem Bereich ermöglichen.

 

Priorität der Ausfallsicherheit

Auch für die Linienverantwortlichen in den einzelnen Geschäftssparten ist lT eine knappe strategische Ressource, unabdingbar, lebensnotwendig und ein entscheidender Faktor, vor allem auch für das Kostenmanagement und als Instrument im Konkurrenzkampf.

Verfügbarkeit, Fehlertoleranz und Ausfallsicherheit von lT-Systemen werden als von grösster Bedeutung bezeichnet. Dafür wurden bisher schon und werden in Zukunft grosse Investitionen gemacht. Durch aufwendige Sicherungsmassnahmen versucht man dies zu verhindern, z.B. indem Daten redundant in einem Backup-System geführt werden. Während totale Systemausfälle relativ selten sind, hätten selbst partielle unterschiedliche, teilweise natürlich gravierende Konsequenzen und Imageschäden zur Folge. Die bestehende lT-Infrastruktur beurteilen die Linienchefs als für die Bedürfnisse ihres Ressorts nur teilweise oder gar nicht ausreichend.

 

Näher zum Kunden

Direct Banking ist ein wichtiger Teil des Gesamtgeschäfts der Banken, dessen bisheriger Aufschwung sich voraussichtlich weiter fortsetzen wird. Direct Banking wird als Vertriebskanal der Zukunft bezeichnet, wobei in der Schweiz der Durchbruch noch bevorstehe. Die Situation wird bei den verschiedenen Formen und Kundensegmenten differenziert beurteilt. Im Internet-Banking wird unter gewissen technischen Voraussetzungen mit einem geradezu exponentiellen Wachstum gerechnet.

Bis Ende 1997 werden alle drei Banken mit speziellen Angeboten im Internet vertreten sein. Im Rahmen einer Multichannel-Strategie werden die anderen elektronischen Distributionskanäle sowie die konventionelle persönliche Bedienung und Beratung weiter koexistieren. Besondere Anforderungen des Direct Banking an die lT beziehen sich auf Sicherheit, Interfaces, Verfügbarkeit und Response-Zeit.

 

Decision Support und Data Mining

Decision-Support-Services sind aus der Sicht der Befragten vor allem markt- und kundenbezogene Entscheidungsgrundlagen für Sachbearbeiter wie Anlageberater oder Portfoliomanager. Dabei müssen je nach dessen Funktion Markt- und Kundendaten aus unterschiedlichen internenund externen Quellen zu einem Gesamtsystem zusammengefasst und dem Mitarbeiter am Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt werden können.

An der Entwicklung solcher Systeme und von Datenbanken wird sowohl zentral in der Bank als auch dezentral in einzelnen Unternehmensbereichen und Ressorts gearbeitet. Das gleiche gilt grundsätzlich für Database-MarketingInstrumente, die zwar bereits genutzt werden, aber weitere Investitionen erfordern, z.B. für den Auf- bzw. Ausbau von umfassenden Data Warehouses und von Data Mining. In allen diesen Bereichen erweist sich der heute erreichte Stand noch nicht als voll befriedigend.

 

Seibstbedienung wird forciert

Die gegenwärtige Nachfrage in der Schweiz nach zeitlich und räumlich unbegrenzter Verfügbarkeit von Bank-dienstleistungen wird als ziemlich gross eingestuft; dieser Teilbereich des Direct Banking dürfte an Bedeutung zunehmen. Allerdings wird das Netz der konventionellen Bancomaten kaum wesentlich ausgebaut, da es bereits heute genügt. Dagegen forcieren die Banken den Zahlungsverkehr und die Informationsbeschaffung über ATMs (Automatic Teller Machines), die in Richtung intelligente Serviceterminais mit PC-Technologie ausgebaut werden. Dafür sind neue Dienstleistungen eingeführt worden oder vorgesehen. Bargeldlose Zahlungen wie EC Direct nehmen an Bedeutung zu. Die Kreditkartenverwendung ist in der Schweiz weniger wichtig als z.B. in den USA.

Für die Abwicklung des Zahlungsverkehrs setzen die Banken im wesentlichen Eigenentwicklungen ein. Die einzelnen Applikationen und Funktionen sind keine isolierten Einzellösungen, sondern in ein Gesamtsystem integriert. Sie laufen zwar gut und stabil, stammen jedoch teilweise aus den 70er-Jahren und müssen jetzt mit viel Aufwand überarbeitet, weiterentwickelt oder abgelöst werden. Dafür laufen teilweise grossangelegte Millenium-Projekte. Die neuen Systeme sollen umfassendere Managementinformation zur Verfügung stellen und zukünftigen Anforderungen wie Edifact, Internet, Multicurrency oder dem Euro gerecht werden. Die Risiken im Zahlungsverkehr werden als relativ limitiert betrachtet.

 

Wertschriften im Outsourcing

Im Wertschriftengeschäft werden die Kunden nach verschiedenen Kriterien segmentiert. Dies hat zur Folge, dass unterschiedliche Produkte zu unterschiedlichen Tarifen angeboten werden. Klassische Segmentierungskriterien sind z.B. Privat vs. Firmenkunden oder Aktien vs. Bonds und Derivate (Objekte). Hier soll die lT die Bankmitarbeiter in der Kundenberatung unterstützten; auch dafür wird zukünftig das Internet genutzt. Die Banken verlangen vermehrt Multimediaarbeitsplätze für Kundenberater und -betreuer. Bis vor kurzem noch ein Tabu, stellt neuerdings das Outsourcing der Wertschriftenabwicklung eine akzeptable Option in der lT-Strategie dar.

 

Der vorliegende Text ist eine Kurzfassung des ausführlichen Markfforschungsberichts des Instituts an die Geschäftsleitung von Tandem vom Juli 1997.

 

 

ROLF SCHOCH; WI.SO

BERND BETSCHMANN; TANDEM

 

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Tandem Computer AG, 8952 Schlieren, Telefon 01/73295 11, Fax 01/7300200

 

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